Berliner Zeitung, 11. Juli 1997, Peter Zander

Interview von Peter Zander

Für Fassbinder war ich mir zu schade

Ein Gespräch mit Udo Kier, einem der größten Kleindarsteller des deutschen und amerikanischen Kinos. 

Er ist ein heimlicher Weltstar, in Hollywood ebenso zu hause wie im europäischen Autorenfilm. Zwischendurch macht Udo Kier auch Werbung für japanische Zahnbürsten. Oder er stellt einen alten Film vor, wie heute abend bei den Tele Visionen. Da präsentiert er "Medea", eine Zusammenarbeit mit Lars von Trier aus dem Jahr 1987. Peter Zander hat Udo Kier vorgestern in Berlin getroffen. 

Berliner Zeitung: Sie sind aus den USA eingeflogen, um Lars von Triers Film "Medea" vorzustellen. Der Regisseur selbst ist zu medienscheu. Sind Sie nur zweite Wahl?

Udo Kier: Meinen Freunden in den USA habe ich gesagt, ich fahre nach Deutschland und kriege einen Preis. Und irgendwie stimmt das auch. Lars zu vertreten ist mir eine große Ehre. "Medea" war unser erster gemeinsamer Film. Ich sollte der König sein, mußte mir die Haare wachsen lassen, durfte mich nicht mehr rasieren. Lars sagte nur: "Ich gebe dir ein Pferd als Symbol der Männlichkeit. Spiel bitte nicht dagegen an." Das war die einzige Anweisung; es war wunderbar. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

BZ: Sie spielten auch in "Epidemic", "Europa", "The Kingdom" und "Breaking the Waves " mit. Und Sie verfolgen ein gemeinsames Langzeitprojekt.

UK: Jedes Jahr um Weihnachten werden drei Minuten Film gedreht seit 1991, bis ins Jahr 2024. Keiner weiß, was daraus wird. Auch der Meister nicht. Wenn der Film fertig ist, bin ich über 70 und werde zur Premiere reingerollt. Dafür kriege ich wahrscheinlich den Life Achievement Felix. 

BZ: Gerade haben Sie beide die Fortsetzung von "The Kingdom" gedreht. Wie geht´s weiter?

UK: Wenn der Kuchen schmeckt, darf man das Rezept nicht verraten. Wer die vier Stunden des ersten Teils in Erinnerung hat, weiß aber, daß ich da vom Teufel geboren wurde. Soviel sei gesagt: Das Baby lebt. 

BZ: Apropos Baby: Sie sind auch der Pate von Lars von Tries Tochter Agnes. Dabei gelten Sie an sich nicht als familiärer Typ. 

UK: Ich habe nie zu einer Familie gehört immer zu vielen. In meinem Zimmer steht ein Foto von meiner Mutter und eines von Agnes. Da brennt immer ne Kerze, wie bei einer Madonna. Aber nicht aus religiösem Wahn. Ich poliere auch das Foto meiner Mutter nicht jeden Tag. Aber ohne sie wäre ich nun mal nicht da.

BZ: Gehört auch Christoph Schlingensief zu Ihrer Familie?

UK: Auch Schlingensief, den wir ja alle lieben und schätzen. Allerdings habe ich kein Foto von ihm. Die Spanne zwischen von Trier und Schlingensief ist ziemlich groß. Man tanzt ja auch nicht immer den gleichen Tanz.

BZ: Und wenn Sie die Wahl hätten wäre die Antwort dann eindeutig?

UK: Es gibt keinen Regisseur, der mich bis ans Ende meines Lebens beschäftigen kann. Also tanze ich auf verschiedenen Hochzeiten, und jeder Regisseur hat seine eigene Methode. Mit Lars von Trier könnte ich überhaupt nichts improvisieren, bei dem geht´s um Sein oder Nichtsein. Die klassische Frage. Bei Gus van Sant kann man auch mal eigene Geschichten reinbringen. Schlingensief, mit dem ich sehr viele Filme gemacht habe, wird immer präziser, was mich manchmal aus der Bahn wirft. Ich bin es gewohnt zu improvisieren. 

BZ: Ihre Reise nach Berlin hat Sie auch zu Schlingensiefs neuer Volksbühnen-Show "Talk 2000" geführt. 

UK: Das war spaßig. Der verlangte von mir den Auftritt gleich dreimal hintereinander, und immer ganz spontan. Da saß Prinz Alexander von Hohenzollern neben mir, und den hab ich natürlich sofort gefragt, was es kostet, wenn er mich adoptiert. Ich fänd das gut, da würden sie mir die Tür auch schneller aufmachen. Aber er lehnte ab, der Name ist geschützt. 

BZ: Wenn wir schon bei Familien sind: Sie gehörten auch zu Fassbinders Clique. Von der gibt es die wüstesten Legenden.

UK: Ich war mittendrin, hab auch alles mit erlitten. Ich sag ja immer, daß Schauspieler Masochisten sind, sonst würden sie nicht das machen, was andere ihnen sagen. Den Rainer kannte ich schon mit 17 aus einer Arbeiterkneipe in Köln. Als der dann zum Genie wurde, hat er mich lange gemieden, weil er nicht an die alte Zeit erinnert werden wollte. 

BZ: Hat Sie das gekränkt?

UK: Im Gegenteil. Fotogen, wie ich damals war, hatte ich doch ganz andere Ziele. Als dann Jahre später das erste Angebot von ihm kam, "Faustrecht der Freiheit", da war ich so kommerziell eingestellt, daß ich dachte: Es schadet mir nur, in so einem Film mitzumachen. Das hat er mir nie verziehen. Aber ab "Bolwieser" habe ich dann doch mitgespielt. Und wenn es keine Rolle für mich gab, wie in "Lola", habe ich halt die Ausstattung gemacht. 

BZ. Dennoch sind Sie in Deutschland viel unbekannter als in den Staaten. Ist das nicht absurd?

UK: Bei deutschen Filmen weiß man doch gar nicht, wo die eigentlich gezeigt werden, vielleicht im brasilianischen Goethe-Instituten für irgendwelche Vertriebene. Ich bin in Deutschland bei den Leuten bekannt, bei denen ich´s sein will. Wenn man mich im Supermarkt nicht erkennt, ist mir das schnuppe. Ich mache Filme mit Lars von Trier, das versteht die Frau an der Kasse eh nicht. Ich spiele nicht "Heidi" oder "Erika", die Wüste brennt". 

BZ: Dafür spielen Sie in "Pinocchio" oder "Prinz Eisenherz". Auch am Beginn Ihrer Karriere standen ein paar äußerst platte Oroduktionen. 

UK: Da war ich doch noch ne junge Frucht, da habe ich noch voll auf mein Aussehen gesetzt. Da lach ich heute drüber. Damals war mir das natürlich ganz ernst, weil ich auch nie eine Schauspielausbildung hatte.

BZ: In den Staaten wurden Sie dann die Muse von Warhol und Hockney und der Große unter den Kleindarstellern. 

UK: Ich lebe gern in Amerika. Ich liebe Palmen, und in Deutschland gib es so wenige davon. Auch mit Nebenrollen kann man ganz gut leben, wenn man nicht zu stark für die Großen wird. Für einen Deutschen gibt es in Hollywood ohnehin nur drei Rollen: der mit dem harten Akzent, der wahnsinnige Wissenschaftler oder der Böse. 

BZ: Vor allem den Bösen spielen Sie auch in Europa gern. Gibt es eigentlich ein Monster, das Sie noch nicht verkörpert haben?

UK: Den Werwolf. Den würd ich gern mal machen. Solche Verwandlungsspielchen sind doch das Ergiebigste. Ich bin nicht der Bankangestellte, der zu Hause das Geschirr wäscht und die Kinder von der Schule holt. Ich bin der, der um zwölf den Smoking anzieht, zu summen beginnt und dann die Familie erschlägt. 

BZ: Wie wichtig sind die Filme für Sie? Schauen Sie sich jemals selbst im Kino an? 

UK: Nee.

BZ. Auch nicht, wenn Sie mal einen freien Abend haben und zufällig einer Ihrer Filme läuft?

UK: Wenn man mich unerkannt in einer Sänfte hintragen würde, würde ich mich eventuell hinsetzen. Aber wahrscheinlich schreien.

BZ: Aber "Medea" sehen Sie sich heute schon an?

UK: Nicht den Film, sondern mich weil ich mich noch nie auf einer so großen Leinwand gesehen habe. Das ist schon ein Unteschied, ob mein Kopf 50 Zentimeter aus dem Bildschirm ragt oder 25 Meter auf der Leinwand mißt. 

BZ: Sie haben auch mal eine ganz eigenen Film gemacht:" The Last Trip to Harrisburg".

UK: Das war am Ende der Dreharbeiten zu Fassbinders "Berlin Alexanderplatz". Ich wollte einmal alles sein, Produzent, Regisseur, den Kameramann bezahlen und beide Rollen spielen. Aber auch da hat Fassbinder seine Handschrift druntergesetzt. Der hat mich synchronisiert. Das hat aber keiner gemerkt. Ich wollte eigentlich Texte von Jean Genet lesen, aber er drängte mir statt dessen die Bibel auf. Ich dachte, dafür bekomme ich bestimmt den Preis der katholischen Kirche. Aber die haben sich geweigert, weil ich Texte fand wie : "Frauenhände, so zart empfindend, kochen ihre eigenen Kinder. "Womit wir wieder bei "Medea" wären. 
 

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