Lufthansa Magazin, # 4, Mai 2001, Hans Oberländer

Bordgespräch mit Udo Kier von Hans Oberländer auf dem Flug LH 4628 von Hamburg nach London.

Wohin geht die Reise, 

Ob in Kunst-, Trash-, oder Kommerzfilmen - er weiß sich überall effektvoll in Szene zu setzen. Als einer von ganz wenigen Europäern hat Udo Kier sogar in Hollywood Erfolg. Der "König der Nebenrollen" über den Geschmack von Kunstblut und die Lust am Verbotenen

Lufthansa Magazin:
Herr Kier, Sie sind ein wahrer Wanderschauspieler: Vor drei Tagen standen Sie in Malta vor der Kamera, gestern haben Sie in Hamburg gedreht, morgen in London, dann geht es nach Los Angeles. Wissen Sie eigentlich immer, in welchem Film Sie sich gerade befinden? 

Udo Kier:
Natürlich, dafür gibt es doch Drehbücher! Aber ernsthaft: Ich spiele gern parallel in verschiedenen Filmen. Das ist interessant, eine Herausforderung. Vor allem, wenn es auch noch unterschiedliche Filmgenres sind. 

Lufthansa Magazin: 
Und so pendeln Sie zwischen Kunst und Trash, Kult und Kommerz. 

Udo Kier:
Kunst sichert dir einen Platz in den Annalen der Filmgeschichte, Blockbuster wie "Armageddon", "Blade" oder "End of Days" sind ein Segen für das Bankkonto...

Lufthansa Magazin:
....und Sie wollen beides....

Udo Kier:
.....genau. Anfangs habe ich befürchtet, meine Künstler-Freunde wie etwa der Regisseur Lars von Trier würden mir die Kommerzfilme übel nehmen. Das tun die aber gar nicht. Die würden auch gerne wissen, wie sich Pamela Anderson anfasst... Die Kunst schielt immer nach dem Kommerz. Umgekehrt gilt das leider nicht, jedenfalls nicht in Hollywood. Als ich 1991 nach Los Angeles kam, schärfte mir mein Agent sogar ein, bloß niemandem zu erzählen, dass ich "Kunst" gemacht habe. 

Lufthansa Magazin:
Warum sind Sie damals nach Los Angeles gezogen, immerhin 47 Jahre alt? Durch Ihre Arbeit mit Andy Warhol, Rainer Werner Fassbinder oder Lars von Trier hatten Sie in Europa einen Platz im Olymp des Undergroundfilms sicher. 

Udo Kier:
Na und? Eine Kultfigur zu sein, macht noch nicht satt. Im übrigen hatte ich Angst, mit 60 in irgendeiner Filmkneipe zu sitzen, ein Weinglas in der Hand, und zu lamentieren: "Vielleicht hätte ich es auch in Hollywood zu etwas gebracht." Ich habe es gewagt und nicht bereut. Obwohl es auch für mich harte Arbeit ist, dort einen Fuß in die Studiotür zu bekommen - immer noch!

Lufthansa Magazin: 
Weil selbst um die kleinste Nebenrolle gekämpft wird? 

Udo Kier:
Ja, zum Beispiel. Manchmal rufen mich junge Kollegen aus Deutschland an und fragen: "Kannst du mir mal ein Treffen mit Regisseur X oder Produzent Y vermitteln?" Als ob das allein etwas helfen würde! Hollywood ist ein riesiger Industriebetrieb, in dem es ausschließlich um Geld geht. Da ist es fast schon ein Wunder, wenn man als deutscher Schauspieler in einem amerikanischen Film mit Bruce Willis oder Arnold Schwarzenegger auch nur einen Satz sagen darf. 

Lufthansa Magazin:
Wie haben Sie es geschafft?

Udo Kier:
Ich versuche, auch aus kleinen Rollen das Maximum herauszuspielen. Mit Gesten, einem Akzent oder vielleicht einem bestimmten Accessoire. Es ist eine Gratwanderung. Du darfst nie aus einer Nebenrolle eine Hauptrolle machen wollen. Sonst schneiden sie sofort deine besten Szenen raus. 

Lufthansa Magazin:
Als Nebendarsteller sind Sie zumeist der Bösewicht....

Udo Kier:
....was schauspielerisch gesehen oft viel interessanter ist als den "Guten" zu mimen.

Lufthansa Magazin:
Warum ist es gut, schlecht zu sein?

Udo Kier:
Ich finde es sehr spannend, in meiner Rolle Extreme auszuloten: Für mich hat der Schauspieler etwas von einem Psychologen. Als "Guter" kann man höchstens zum Heiligen werden. Dem Schurken jedoch sind keine Grenzen gesetzt - es gibt immer 
noch eine Steigerung des Bösen. Für mich ist das der Kick in der Schauspielerei: Etwas Verbotenes darzustellen. 

Lufthansa Magazin:
Fast immer sterben Sie einen gewalttätigen Filmtod. Wie schmeckt eigentlich Kunstblut?

Udo Kier:
In teuren Produktionen süß und labberig. Bei billigen Produktionen verwendet man Ketchup oder Tomatensaft.

Lufthansa Magazin:
Wie stellt man das Böse dar?

Udo Kier:
Ich lasse mich von den TV-Nachrichten und der Zeitung inspirieren! Und außerdem bin ich ein guter Beobachter. Im Restaurant, im Taxi, auf der Straße - ich höre den Menschen zu, achte auf ihre Bewegungen. So sammle ich Ideen, die ich später in meine Filme einbringe. 

Lufthansa Magazin: 
Das Leben ist die beste Schauspielschule?

Udo Kier:
So ist es. Der Alltag und die eigene Lebensgeschichte. Ich bin 1944 in Köln im Bombenhagel geboren worden. Bin ohne Vater in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen, wir hatten zu Hause noch nicht einmal warmes Wasser in der 
Leitung! Ich wollte raus aus dem Milieu. Unbedingt. Deshalb bin ich Schauspieler 
geworden. Traumwelten haben mich immer fasziniert.

Lufthansa Magazin:
In welchem Film würden Sie gerne spielen? 

Udo Kier:
In einem mit Jody Foster.

Lufthansa Magazin: 
Nehmen Sie auch eine Nebenrolle? 

Udo Kier:
Aber mit Kusshand!

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