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Bunte, Nr. 4, 15.01.2004, Georg Seitz
So schön ist das Böse
Udo Kier ist der Dämon im internationalen Film. Aber er sagt: Als
Böser musst du gut sein. Bunte traf den Kinostar.
Er muss nur die Augenbraue heben, schon kehrt Ruhe ein. Denn wenn Udo
Kier,59, seine stechenden Augen auf ein Gegenüber richtet,
signalisiert das im Kino dasselbe wie das Krokodil im Kasperltheater:
Achtung, Unheil! Das ist eine Feststellung, mit der er gut und gern
lebt.
Die Karriere des Kölners ist schillernd: Er besuchte nie eine
Schauspielschule, dreht aber seit vier Jahrzehnten mit den
interessantesten Regisseuren und ist Dauergast im internationalen
Jetset. Kier war z.B. der Star von Andy Warhols Kultfilmen
"Frankenstein" und "Dracula". Er spielte in "Berlin, Alexanderplatz"
und "Lili Marleen" von Rainer Werner Fassbinder, mit dem er sich die
Wohnung teilte. Er spielt in nahezu jedem Film von Lars von Trier
(zuletzt "Dogville") und ist Taufpate des Sohns des scheuen Dänen.
Seit zehn Jahren lebt Kier in Los Angeles. Seine Mitwirkung wird
geschätzt in Walt Disney-Produktionen (zuletzt "Pinocchio" im TV) und
im Superstar-Kino mit Pamela Anderson ("Barb Wire"), Arnold
Schwarzenegger ("End of Days") oder Bruce Willis ("Armageddon").
Dazwischen pendelt Kier nach Europa - für einen Gastauftritt in der
Premiere der "Bambiland - Inszenierung des Kultur-Raubauken Christoph
Schlingensief am Wiener Burgtheater oder für eine Rolle in dem
märchenhaften Film "Tor zum Himmel" ("zurzeit im Kino) des
ambitionierten Regisseurs Veit Helmer. Bunte traf Udo Kier zum
Interview in Köln.
Madonna hält Sie für einen Irren. Hat Sie Recht?
Sie meinte damit einen, der weit geht, was die Arbeit angeht.
Hemmungslos war ich immer. Ich hatte ihr einen Brief geschrieben, weil
ich sauer war nach einem Video, das ich mit ihr gedreht hatte. Sie hat
mir zurück geschrieben: "I like you too, you’re a madmann" (Ich mag
Sie, Sie sind ein Verrückter).
Wieso haben Sie keine Hemmungen?
Wahrscheinlich, weil ich immer gut behandelt worden bin. Mir hat nie
jemand gesagt: Du kannst nicht alles sagen, was du willst.
Gibt es Grenzen für Sie?
Ja, sicher. Wenn mir jemand sagen würde, du musst aus dem vierten
Stock springen.
Zu peinlich ist Ihnen aber nichts?
Ich habe Narrenfreiheit. Mir schadet kein Film mit Pamela Anderson,
weil man weiß, der dreht den nächsten Film mit Lars von Trier und wird
hoch konzentriert seine Sache machen. Der liegt zwischen den Beinen
von Madonna und steht dann wieder auf der Bühne des Burgtheaters.
Sie drehen in Hollywood, stolz aber sind Sie auf das Burgtheater.
Wieso?
Das eine ist kommerziell. Das andere ist, dass ich mit meinen zehn
Schritten auf der Bühne ein Heiligtum entweihe. Es waren nur zehn
Schritte, aber welcher Schauspieler beschwert sich, wenn bei seinem
Auftritt die Götterdämmerung eingeblendet wird und im Hintergrund
läuft ein dicker Porno? Das ist das schönste Kompliment, das Christoph
Schlingensief mir machen konnte.
Was ist das Kompliment - der Porno?
Ich finde Pornofilme wichtig, die müssten in jeden Haushalt als
Stimulans für Ehepaare. Bei Schlingensief ist das natürlich
Kunst-Porno. Für mich war das Erlebnis, dass ich dabei war und ein
Burgtheater-Plakat habe. Denn den Hamlet werde ich dort nie spielen,
das weiß ich.
Schlingensief wurde verrissen. Kann der was oder provoziert er nur?
Natürlich kann der was! Er bricht Tabus und Journalisten schreiben
seitenlange Berichte in besten deutschen Tageszeitungen. Also muss da
was sein. Wenn jemand provoziert wie Schlingensief, erwartet man immer
mehr. Möglicherweise hat er auch seine Grenzen erreicht.
Können Sie sich erinnern, wie Sie zu Ihrer ersten Rolle kamen?
Ich bin auf der Straße entdeckt worden. Ich bin mit 19 Jahren nach
London, weil ich die englische Sprache lernen wollte. Plötzlich war
ich in der Kings Road, wo man hingeht, und wurde angesprochen und
eingeladen von Frauen und Männern. Eine Italienerin, Luisa, sagte mir,
dass ein Franzose für einen Film gesucht wird. Sie sagte: Geh da hin,
siehst ja aus wie ein Franzose. Und ich sagte mir: Wenn ich davon
leben kann, mache ich das weiter. Die größte Agentur, William Morris,
hat mich aufgenommen und Zeitungen stellten mich in eine Reihe mit
Alain Delon und Terence Stamp als die schönsten Männer der Welt.
Wie lange waren Sie in London?
Drei Jahre. Dann ging es nach Rom, weil ich ein Angebot hatte. Das war
die Zeit des Dolce Vita. Ich lernte Leute kennen wie Zeffirelli und
wurde eingeladen zu Prinzen und Prinzessinnen. Fellini hat
Probeaufnahmen mit mir gemacht für "Satyricon".
Trafen Sie in Rom auch auf den Krupp-Erben Arndt von Bohlen und
Halbach?
Das war in Cannes, ich war im Urlaub. In einem Restaurant lernte ich
Johannes von Thurn und Taxis kennen, der mich seinem Freund Arndt von
Bohlen und Halbach vorstellte. Ich war fasziniert, durfte im
Continental mitfahren, wo auf Knopfdruck das Dach aufging. Ich wurde
großzügig eingeladen, aber mehr war da nicht.
War die Dekadenz damals anders als heute?
Ich glaube nicht, dass sich viel geändert hat. Damals waren natürlich
überall Drogen. Ich habe auch Joints geraucht und Kokain gezogen. Ich
bin von Rom nach Paris, um "Die Geschichte der O" zu drehen. Da war es
Mode, dass man abends ein Stimulans nahm, um die Nacht durchzutanzen.
Heute mach ich es nicht mehr.
Haben Sie sich je gefragt, warum Sie im Film meist als Böser besetzt
werden?
Nein, denn ich spiele gern das Böse, weil es faszinierend ist. Das
Gute ist gut, da gibt es keine Steigerung. Dem Bösen dagegen sind
keine Grenzen gesetzt. Aber man muss gut sein, um das Böse darstellen
zu können. Der Effekt ist dann viel größer. Um den Teufel zu spielen,
muss man ein Engel sein.
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