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Hamburger Abendblatt / Journal, 9. Dezember 2000, Heike Gätjen
Ein
Exzentriker in der Ruhephase
Er hat es im internationalen Filmgeschäft geschafft: Udo Kier, einer
der ganz wenigen deutschen Schauspieler, der sich in Hollywood fast
ein Jahrzehnt lang gehalten hat. Nicht an der Spitze wie Armin
Müller-Stahl, aber dauerhaft in der zweiten Reihe. In großen Filmen
wie "Blade", "Armageddon" und dem gerade preisgekrönten "Dancer in the
Dark" war er dabei. Einige andere Filme würde er lieber vergessen.
"Das waren schöne Rollen in falschen Filmen."
Wir kennen ihn als Dracula und Filmspezialisten für seelische
Grenzbereiche - der schrille Auftritt ist sein Markenzeichen: Udo Kier
ist einer der wenigen deutschen Schauspieler, die in Hollywood
Karriere gemacht haben. Ein Pflaster, auf dem man sich nur mit
Distanz, Fleiß und Selbstironie bewegen kann.
Die Klammer ist endlich weg. Die hinter seinem Namen. Udo Kier,
Klammer auf, Dracula, Klammer zu. Nachdem er sich 1974 in Andy Warhols
Film "Dracula" blutsaugend auf der Karriereleiter nach oben schlürfte,
war das jahrelang seine einzige Erkennungsmarke. Heute, hundertzwanzig
Filme später, ist er Udo Kier, der Schauspieler. Und kann endlich das
tun, wovon er immer schon geträumt hat. "Wenn auf der Pressekonferenz
jemand sagt: Kier? Können Sie das mal buchstabieren?", sag ich einfach
NEIN!"
Udo
Kier ist der erfolgreichste Dauerbrenner in Hollywoods zweiter Liga.
Zehn Filme hat er allein in diesem Jahr abgedreht. Rollen irgendwo
zwischen Wahnwitz, Irrsinn und Mordlust, von einem seelischen
Grenzbereich ab in den nächsten. Einen schrillen Maler á la Dali
spielte er in "Die schwarze Spinne" mit Christiane Hörbiger. Einen
wahnsinnigen Millionär in "Doomsdayer". Einen verrückten General in
"All the Queens Men".
Gerade hat er auf Malta in Till Schweigers "Auf Herz und Nieren" einen
skrupellosen Organhändler verkörpert. Morgen geht es weiter nach
London. In der englischen Produktion "Revelation" spielt er "so was
wie den Antichrist". Dazwischen war er kurz in Kopenhagen, bei seinem
Patenkind Agnes, der Tochter seines Lieblingsregisseurs Lars von
Trier. In dessen gerade in Paris preisgekröntem Musical-Melodrama "Dancer
in the Dark" war er natürlich auch dabei.
Sieben Wochen ist er jetzt schon am Stück unterwegs. Das schlaucht.
"Ich weiß einfach nicht mehr, wo ich bin. Nachts muss ich im
Hotelzimmer Licht anlassen. Sonst renn ich beim Aufwachen mit dem Kopf
gegen die Wand." Auch heute im Hotel Hyatt in Hamburg ist er nur auf
dem Sprung. Vormittags ein paar Fotos für das Lufthansa-Magazin.
Gleich noch ein Termin in St.Georg, Modeaufnahmen für Thomas Stoess,
einen unkonventionellen Modemacher mit eigener Kollektion. "Das mach
ich aus Freundschaft." Ach, und fast hätte er es vergessen: Einen
Werbespot mit Anthony Hopkins hat er gedreht. "Leider nur für Japan.
"Im "Playboy" war er gerade zu sehen. Angezogen. Im Faltenrock.
"Aktaufnahmen würde ich auch machen. Aber da muss ich noch ein
bisschen an meinem Körper arbeiten. Das Alter geht ja nicht spurlos an
einem vorüber."
Den Beweis tritt er nicht an. Aber über die leichten Hängepartien im
Gesicht muss geredet werden. Das Kinn. Die Schlupflider. "Vielleicht
sollte wenigstens da mal das Messer ran. Aber nur minimal. Nicht so,
als wenn ich ständig im Schockzustand bin. Optisch ist wirklich nichts
zu bemängeln. Udo Kier, gerade 56 geworden, ist ein schöner Mann. Mit
glatter Haut, strahlendem Blick, kurzem Haar in Edelgrau. "Echt, echt,
alles echt. Wenn du schon in deiner Kindheit Mangelvegetarier warst,
hast du eine gute Ausgangsbasis. Dünne Suppen, amerikanisches
Milchpulver und immer nur eiskaltes Wasser auf die Haut. Das kann
selbst Rauchen, Trinken und ein exzessives Leben nicht zerstören."
Er ist eine entwaffnende Mischung aus begnadeter Selbstdarstellung und
schonungsloser Selbstironie. Aus absoluter Schamlosigkeit und
verblüffender Scheu. Inteviews gibt er nicht mehr so gern. Von knappen
Fragen lässt er sich nur allzugern zu seinen bekannten frivolen
Sprüchen hinreißen. "Seit AIDS gibts keine Erotik mehr. Neurotik heißt
das jetzt. Da kannst du nur noch deine Hunde lieben." Aber für ein
Gespräch nimmt er sich Zeit. Da kann er sogar mal ruhig sitzen. Den
diabolischen Blick abschalten. Nicht ständig auf der Suche nach
Szenenapplaus um sich gucken. Sich eine Portion Nachdenklichkeit
gönnen.
Vor neun Jahren ist Udo Kier nach Los Angeles aufgebrochen. Hat sich
mit Werbespots für Budweiser und Delta-Line durchgehangelt.
Ein-Zimmer-Apartment für 400 Dollar, gebrauchter VW für 1200 Mark.
Jetzt hat er ein eigenes Haus in den Hügeln mit Blick auf den
Schriftzug "Hollywood". Er fährt einen Jeep, pflanzt Palmen und Bambus
im Garten, sammelt Kunst, Antiquitäten, Stofftiere, "weil man im Alter
langsam wieder kindisch wird", liebäugelt mit einem Mercedes 190 SL.
Plant ein zweites Haus in der Wüste. Auf Schicki-Micki-Partys geht er
längst nicht mehr. "Immer die gleichen Fragen. Hey, what are you doing?
Working? Mit wem? Und dann siehst du es in den Augen klicken: Sollte
man mit dem mal essen gehen? Kann man mit seinem Namen Eindruck
schinden, sagen: Ich bin ein Freund von Udo Kier?" Seit drei Jahren
muss er auch nicht mehr für Filmrollen Schlange stehen. Sie werden ihm
zuhauf angeboten. Alles ohne Agenten: "Für die Großen bin ich zu
klein, die nehmen nur jemanden mit einer Gage von einer halben Million
an aufwärts. Die Kleinen kosten nur Geld und bringen nichts." Udo Kier
ist immer mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben. Immer mit Blick
auf einen finanziell abgesicherten Lebensabend. Seine Kindheit im Köln
der Nachkriegsjahre steckt ihm tief in den Knochen. "Ich kann meine
Wurzeln nicht abschütteln. Wenn du über Trümmer zur Schule gegangen
bist, die Toilette jahrelang mit drei Familien geteilt hast, wenn du
nur einmal in der Woche baden konntest, und das noch in lauwarmen
Wasser, dann erhälst du dir eine gewisse Form der Dankbarkeit für ein
bisschen Luxus."
Udo Kier, der Nachdenkliche, ist schon ein bisschen ungewohnt. Schrill
ist er einem vertrauter. "Ach", sagt er lässig, "genieß die Phase. Die
ist wahrscheinlich gleich vorbei." Aber beim Thema Alter und Ruhm
möchte er noch bleiben. "Es ist irrwitzig. Plötzlich bin ich in lauter
Jurys und Komitees. Und dann in New York dieses Jahr: der Lifetime
Achievement Award! Bizarr. Das ist so was wie der Todes-Oscar. Wenn
die auf die Bühne getragen werden, kaum noch sprechen können und in
Tränen ausbrechen. Sicher. Stolz könnte er sein. Er hat mit Superstars
und Film-Legenden Geschichte gedreht. Michael Caine, Rod Steiger,
Arnold Schwarzenegger, Catherine Deneuve, Madonna. "Klar", sagt er,
"ich bin berühmt. Ich bin sogar bei drei Filmen im Gespräch für die
Hauptrolle." Seinem Manager gibt das jedes Mal einen Adrenalinschub,
dem zittert dann die Stimme vor Aufregung am Telefon. Aber Kier sieht
das eher nüchtern. "Ich weiß genau: Die verhandeln mit ein paar ganz
großen Namen. Ich bin die Reserve, falls die anderen zu teuer sind.
Aber es klappt nie. Die Rolle kriegt dann doch Dennis Hopper. Eine
blöde Situation. Zwischen schmeichelhaft und scheußlich." Seine Gagen
sind ansehnlich, wenn auch nicht umwerfend. "Es reicht Gott sei Dank
fürs Hundefutter." Seine große Angst ist er zumindest los. Er wird
nicht als alter Mann in irgendeinem Cafe in Los Angeles sitzen müssen,
"mit diesen vergilbten Zeitungsausschnitten, das Datum abgeschnitten,
damit niemand dahinter
kommt, dass der Ruhm schon mehrere Jahrzehnte her ist." Glück und
Zufriedenheit also? Er rollt die beiden Worte für einen winzigen
Augenblick auf der Zunge. "Nein, bloß nicht", sagt er. "Ich würde es
bewusst kaputt machen. ich bin ein Mensch, der immer das Glück
zerstören würde, um es aufs Neue zu suchen. Ich brauche diesen
Aufruhr, diese Unruhe. Udo Kier , Klammer auf, rundum zufrieden,
Klammer zu - das wäre das Ende. Das möchte ich nie über mich lesen
müssen."
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