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Tempo, 02/1994, Hans-Christoph
Blumenberg
Unser Mann in Hollywood drehte mit
Warhol, Fassbinder und Madonna. "You are a mad man", sagte sie zu dem
Exzentriker aus Köln - Mülheim. 1994 laufen vier Filme mit ihm. Udo
Kier liegt im Sterben. Hinter den hohen Mauern einer toskanischen
Villa taumelt ein einzigartiges Künstlerleben seinem Ende zu. Und
schon macht sich ein wahrhaft rasender Reporter des Westdeutschen
Fernsehens auf, um das tragische Geschehen zu dokumentieren.
Arbeitstitel: "Tod eines Weltstars". Mit dem grossen Mann geht es zu
Ende. Im Fieberwahn erscheinen ihm Andy Warhol und Rainer Werner
Fassbinder, die gefallenen Götter, ziehen Szenen aus seinen Filmen an
ihm vorüber: "Dracula", damals in Rom, dies und das von RWF, Jason mit
brennenden Augen in Lars von Triers "Medea", Johnny mit brennender
Lockenperücke und Hackebeil im "Deutschen Kettensägenmassaker" von
Christoph Schlingensief.
Nun rafft es ihn dahin, den genialischen Triebtäter, den Kinski der
Kino-Avantgarde. Wirklich schade um den schönen Querulanten Kier! Wir
werden ihn vermissen.
Aber dann tritt der Unwiderstehliche doch noch nicht ab. Der Star ist
ein Schwindler, der Tod eine Maskerade, der Film ein Witz. Am Ende
sitzt der geleimte Reporter im Rollstuhl, niedergeschossen von Udo,
dem Auferstandenen. So leicht kriegt niemand einen Kier unter die
Erde. "Tod eines Weltstars" ist ein Film von Christopf Schlingensief,
ein ironisches, pseudodokumentarisches Puzzle, eine hysterische
Hommage an einen begnadeten Kino-Exzentriker, ein Fest für alle
Kieromanen. Und die sterben nicht aus. Sogar Madonna, die den
Deutschen für ihr "Sex"-Buch und zwei Videos holte, scheint seinem
schillernden Charme verfallen. Gesehen hatte sie Udo Kier als Freier
in Gus Van Sants Film "My Private Idaho": eine flirrende Performance,
die selbst die Weltmeisterin der Selbstinszenierung gebührend
beeindruckte.
Durch Gus Van Sant war Udo Kier vor drei Jahren nach Amerika gekommen.
In der wunderschönen Gossenballade "My Private Idaho" spielt er einen
Deutschen mit dem naheliegenden Namen Hans, der den beiden Strichern
River Phoenix und Keanu Reeves erst Fotos seiner Mutter zeigt und eine
improvisierte Kabarettvorstellung gibt, ehe er mit ihnen ins Bett
geht. Hans ist seltsam rührend, aber doch auch unheimlich, gefährlich
und gefährdet zugleich, ein perverser Biedermann: der Kunde als König.
Udo Kier weiss sehr genau, wie man sich in Szene setzt, und genau das
schätzt er auch an Madonna: "Vielleicht ist sie keine grosse Sängerin,
keine grosse Schauspielerin, aber sie hat diese Aura." Sie hat ihm
viel Raum gegeben in dem Video "Deeper and Deeper". Da flirtet er
heftig mit der Kamera, ehe Madonna überhaupt zum ersten Mal im Bild
ist, da bellt er, zur Verwirrung der Clip-Kids, einen Vers aus Goethes
"Faust": "Du! Miss dem Junker Kleider und miss ihm Hosen an!"
Es ist ein exzentrischer, ein unvergesslicher Auftritt: Kier pur. Udo
tobt, Udo tanzt, Udo kennt keine Furcht. Bei der ersten Fotosession
für Madonnas Sexbuch, in einem heruntergekommenen Lederklub in New
York, hat er sie gefragt: "Wie weit kann ich gehen?" Madonna: "Soweit
du willst." Er hat sie beim Wort genommen. Genüsslich schlürft er eine
gelbliche Flüssigkeit aus einem hochhackigen Schuh. Perfekt gelingt
ihm die Pose des dekadenten Flaneurs. Und sieht aus wie ein ironisches
Zitat.
Ein Objekt der Begierde ist dieser Mann immer gewesen: als keuscher
Gigolo, als unschuldiger Vampir, als neugieriger Streuner durch viele
schräge Welten. Er ist keiner, der sich aufdrängt: ein Star für
Eingeweihte, eine "Kultfigur", wie ihn amerikanische Pressehefte mit
einer Mischung aus Ehrfurcht und Ratlosigkeit titulieren. Und
natürlich ist Madonna auch nur ein Star eine Kultikone wie Udo Kier,
wenn auch mehr als eine Spur berühmter. "You are a mad man", hat sie
ihm geschrieben. Ein grösseres Kompliment ist von Madonna nicht zu
haben.
Wie verrückt ist Udo Kier? Wie echt ist der tollwütige Elan, mit dem
er durch Christoph Schlingensiefs Filme rast, von "Egomania" bis
"Terror 2000"? Ist Kier ein tobsüchtiger Berufsneurotiker? Welche
Teufel reiten diesen Mann?
An einem verregneten Mittwoch im Spätherbst 1993 steht Udo Kier in der
Küche seiner Wohnung in Köln-Ostheim und bereitet eine Gemüsesuppe zu,
fleischlos, aber herzhaft, mit dicken Karotten- und Kartoffelstücken.
Solche Suppen haben deutsche Mütter für ihre Familien in den ersten
Nachkriegsjahren gekocht. Sie schmecken nach Vergangenheit. Früher
hätte man gesagt: nach Heimat. Dem Wanderschauspieler Udo Kier ist die
Heimat abhandengekommen. Wenn er nach Hause kommt, fühlt er sich wie
ein Gastarbeiter auf Heimaturlaub: für ein paar Wochen entlassen aus
der transatlantischen Filmfabrik, wo er am Fliessband schafft. So
einer reist am liebsten mit leichtem Gepäck. Für die Strecke Los
Angeles-Frankfurt reicht ihm eine Plastiktüte aus dem Supermarkt. Am
Zoll streifen ihn diskrete Blicke. Selbst nach einem langen Nachtflug
entfaltet er beiläufig verstörende Wirkungen. Irgendwie kommt er einem
bekannt vor, mit den Augen, so grün wie keine, mit dem seltsamen
Lächeln des geübten Verführers, mit den geschmeidigen Bewegungen der
routinierten Raubkatze. Ist das nicht....? Aber bevor einem der Name
einfällt, ist der Mann schon wieder verschwunden. "Manchmal", sagt Udo
Kier. "habe ich einen absurden Traum. Ich will weltberühmt sein, aber
von niemandem erkannt werden."
Das könnte ihm gelingen. Der Mann bewegt sich so rastlos, dass er fast
unsichtbar ist. Vor ein paar Tagen hat Kier noch in Kalifornien
gedreht, heute findet in Köln die Premiere seines vorletzten Films
statt, morgen verbeugt er sich in Luxemburg, übermorgen trifft er
Peter Bogdanovich in Wien, nächsten Montag dreht er mit Harald Juhnke
in Hamburg, zwei Tage später mit Lars von Trier in Kopenhagen. Und
danach geht es zurück nach Kalifornien. Udo will es noch einmal
wissen. Der sichere Platz im Underground-Olymp reicht ihm nicht mehr.
Kultfigur - was ist das? Fassbinder und Warhol sind lange tot, und die
Werke der letzten radikalen europäischen Autoren-Filmer - von Lars von
Trier bis Christoph Schlingensief - finden immer schwerer in die
jurassifizierten Kinos. Da verkleidet sich der Guerillakämpfer als
Gastarbeiter und sucht Lohn und Brot und Ruhm im Feindesland. Udo goes
Hollywood.
Die Herausforderung ist immens, denn der Industriebetrieb im fernen
Kalifornien legt auf seinesgleichen herzlich wenig Wert. Es ist schon
ein kleines Wunder, wenn ein deutscher Schauspieler in einem
amerikanischen Film auch nur einen einzigen Satz sagen darf. Seit Emil
Jannings 1929 den allerersten Darsteller - "Oscar" gewann (und kurz
darauf für immer zur Ufa zurückkehrte), haben sich deutsche Träume von
der Starkarriere in Hollywood kaum erfüllt. Hardy Krüger und Horst
Buchholz konnten sich eine Weile halten, viel später wagte Jürgen
Prochnow den grossen Sprung (und ward nicht allzu oft gesehen), und
jetzt ist es allein Armin Mueller-Stahl, der grosse Rollen in
wichtigen amerikanischen Produktionen spielt. Was also sucht Udo Kier
in Hollywood? Man muss schon mehr als ein bisschen verrückt sein, um
ausgerechnet auf diesen mit Gesichtern und Körpern vollständig
übersättigten Markt zu drängen. Dazu kommt, dass unser Mann nicht der
Allerjüngste ist. Dieses Jahr wird er fünfzig. Und beweisen muss er
sich und dem Rest der Welt auch nichts mehr. Als die jungen
Hollywood-Stars, mit denen er jetzt spielt, gerade im Vorschulalter
waren, hatte er eine internationale Kinokarriere fast schon wieder
hinter sich.
Mit Mitte zwanzig fuhr Udo Kier in einem moosgrünen Jaguar E-Type
durch Rom, sah sich umworben von Jetset-Gestalten beiderlei
Geschlechts und avancierte unversehens zu einer schillernden
Illustriertenberühmtheit. Es war die Zeit der Prinzen, und keiner war
schöner als Udo. Auf Fotos aus jenen frühen, wilden Jahren sieht er
aus wie eine männliche Nymphe: mit verhangenem Blick und leicht
aufgeworfenen Lippen, ein später Bruder der frühen Brigitte Bardot,
ein Hauptgewinn in der Lotterie der Lüste. In einem Londoner Nachtklub
warf der grosse Luchino Visconti ein Auge auf den zarten Jüngling, an
einem südlichen Strand entflammte der unglückliche Arndt von Bohlen
und Halbach für ihn. Den Ring, den der letzte Krupp ihm verehrte,
trägt Udo Kier heute noch. Jean Marais und Alain Delon liessen sich
mit ihm in Cannes fotografieren. Und Filme machte er auch. Seine erste
Hauptrolle spielte er in "Schamlos". Udo trug schwarzes Leder, machte
eine nahezu überirdisch gute Figur und liess seinen Partner, den
notorischen Nachtklub-Impresario Rolf Eden, bedauernswert alt
aussehen. Schauspielunterricht hatte er nie genommen, aber das störte
niemanden. 1973 mehrten zwei Titelrollen in Andy-Warhol-Produktionen
seinen Ruhm: Nie erschien der Todeskuss des Vampirs verführerischer
als in Udo Kiers erotischer Dracula -Darstellung, nie waltete ein
attraktiverer Doktor Frankenstein in einem Horrorlabor. Damals, so
schien es, wartete die Welt nur darauf, von einem Jungen aus
Köln-Mülheim verzaubert zu werden. Fassbinder holte ihn für fünf
Filme, Walerian Borowczyk liess ihn Dr. Jeckyll und Jack the Ripper
spielen, mit der schaurigen "Geschichte der O." geriet er auf allerlei
Magazintitel.
In den achtziger Jahren entdeckte ihn die europäische Kinoavantgarde:
vom Ungarn Gabor Body ("Narziss und Psyche") bis zum Dänen Lars von
Trier ("Epidemic"), von Elfi Mikesch und Monika Treut (!Verführung:
Die grausame Frau") bis Gabor Altorjay (" Pankow 95").
Der androgyne Playboy steig auf zum exzentrischen Kultstar.
Die alten Geschichten zählen nichts in Hollywood. "Sag bloss keinem,
dass du in Kunstfilmen gespielt hast", mahnte ihn sein amerikanischer
Agent, "Kunstfilme machen kein Geld". Und so hat Udo Kier noch einmal
ganz von vorn angefangen. "Hemmungslos musst du sein in Hollywood",
sagt er, "absolut hemmunglos."
Mit einem Jaguar kommt man da nicht weit, einen Jaguar hat jeder. Der
gelernte Exzentriker begnügt sich mit einem feuerroten Käfer, Baujahr
68. Was zählt, ist Selbstbewusstsein. Als er zum ersten Mal auf den
gigantischen Set von "Ein Concierge zum Verlieben" kam - eine
luxuriöse Hotelhalle, gross wie zwei Fussballfelder, war im Atelier
gebaut -, musste selbst er ein wenig schlucken: "Da habe ich mir
gesagt: Ausgerechnet jetzt bekommst du Hemmungen? Ich habe daran
gedacht, mit wem ich schon gearbeitet habe, ich bin reingegangen und
habe gesagt: Ich habe eine Idee."
In dem Film von Barry Sonnenfeld ("The Addams Family") spielt Udo Kier
Mister Himmelman, den deutschen Manager des Hotels: eine penible
Führungskraft mit preussischen Manieren und einem perversen Lächeln,
herrisch und servil zugleich. Sehr oft kommt er nicht vor, aber
dennoch gelingt Udo Kier eine skurile Miniatur. Natürlich passt sein
sinistrer Charme überhaupt nicht in dieses bieder-langweilige
Lustspiel, aber er tut ihm gut: eine kräftige Farbe im angestrengten
bunten Einerlei. Mister Himmelman, dem man einen deutschen Schäferhund
als Hausgenossen zutrauen würde, hantiert ständig mit einer Hundeleine
(ohne Hund) und trägt nur Krawatten mit Tiermotiven: lauter schöne
Kleinigkeiten, die sich Udo Kier für seine Figur ausgedacht hat.
Mit Michael J. Fox, dem Star, kam er kaum ins Gespräch. Wer mit
"Zurück in die Zukunft" und "Doc Hollywood" die Kinokassen rund um den
Globus gefüllt hat, gibt sich mit den Nebendarstellern nur vor der
Kamera ab. Udo nimmt es von der komischen Seite: "You are a good actor",
sage Herr Fox zur Begrüssung. Ich sagte: You too."
Ein Star ist Udo Kier noch lange nicht in Hollywood: "Als
Nebendarsteller musst du aufpassen, dass du nicht zu stark wirkst.
Sonst schneiden sie dir deine besten Szenen raus." Doch zurzeit läuft
alles bestens. Vier amerikanische Filme sind abgedreht, darunter Gus
Van Sants "Even Cowgirls Get The Blues" mit Uma Thurman, wo er einen
wunderbaren Auftritt als deutscher Werbefilmregisseur mit Pelzmantel
und Von-Sternberg-Attitüde hat, der sich darüber wundert, wie viele
Kartoffelsorten in Amerika gedeihen. Udo Kier wohnt in Silver Lake.
Von seinem Apartment in den Hügeln über Los Angeles schaut er eher
gelassen hinunter auf das eitle Treiben von Lala-Land. "Wenn du auf
dem Berg sitzt und dir die Haare kämmst, kommt keiner ", klar, aber
aufdrängen will er sich am Ende höchstens durch die Qualität seiner
Arbeit. Auf jeden Film bereitet er sich vor wie ein Athlet auf das
olympische Finale. Der ernsthafte Exzentriker Kier liebt die
Präzision. Wenn er mit Roy Scheider spielt, in der von Steven
Spielberg produzierten Fernsehserie" Sea Quest", schaut er sich vorher
alle Filme des Stars an, vom "Weissen Hai" bis "Hinter dem
Rampenlicht", studiert seine Tricks und Ticks, probiert kommende
Konfrontationen aus. Als er anfing zu spielen - und vom Metier keine
Ahnung hatte -, musste er sich auf seine Schönheit und auf seine
Naivität verlassen. Naivität hilft, sagt Udo Kier, die meisten
amerikanischen Schauspieler sind übertherapiert, ängstlich. Udo Kier
spielt immer noch so, als ginge es jedes Mal um sein Leben.
Er ist ein Kriegskind, geboren am 14. Oktober 1944 im Kölner Stadtteil
Mülheim, ganz in der Nähe seiner jetzigen Adresse - und doch eine Welt
weit weg.Kier, der weltläufige Bohemien, umgibt sich mit moderner
Kunst von Beuys bis Buthe. David Hockney hat ihn gezeichnet, Robert
Mapplethorpe und Helmut Newton haben ihn fotografiert: Bilder eines
eleganten Aristokraten, keine Spur von teutonischer Enge. Aber
aufgewachsen ist Udo Kier in einem Kleinbürgerviertel: beengte
Verhältnisse, ein Bad für drei Familien, Trümmerberge vor der Haustür.
Die Mutter ist Schneiderin, der Vater früh entschwunden. Udo macht
eine Lehre, alles im Rahmen des allzu Üblichen, Grosshandelskaufmann,
das klingt solide. Der Junge soll es mal zu etwas bringen, aber der
Junge will raus aus dem ganzen Milieu. Früh zieht es ihn zur Kunst. Er
weiss nicht, was das ist, er weiss nur, dass er auffallen will. Das
Kind Udo unterhält die Nachbarschaft mit Tänzen auf dem Schutthügel.
Der Knabe hat ein Kapital. Er sieht aus wie ein Engel, mit feinen,
fast mädchenhaften Zügen, mit samtigen braunen Locken, mit einem
zarten Kussmund, mit unwahrscheinlich grünen Augen. Der Spiegel sagt
ihm: Du bist etwas Besonderes, du gehörst nicht hierher. Er gewöhnt
sich an fremde Blicke, er geniesst die Aufmerksamkeit. In der Nähe des
Neumarkts, auf der anderen Seiten des Rheins, verkehrt der
Fünfzehnjährige in der Kneipe "Bei Leni": ein Narziss unter Männern,
denen er Passfotos aus dem Automaten für ein paar Drinks verkauft.
"Ich wusste, wie ich aussah", sagt Udo Kier, der immer noch fabelhaft
aussieht, mehr als drei Jahrzehnte und ein paar Karrieren später.
Damals in Köln lernte er einen dicklichen Jungen mit Pickeln und
fettigem Haar kennen. Rainer hiess der, noch ein vagabundierendes
Einzelkind. Der war ihm bald verfallen, studierte Udos Wirkung, zog
als sein Vasall durch die Nächte. Dann verloren sie sich aus den
Augen. Der schöne Udo dilettierte als Model bei der Herrenmoden-Woche
und ging mit neunzehn nach London, der hässlicher Rainer zog nach
München und wollte zum Theater. Begegnet sind sie sich erst wieder
Mitte der siebziger Jahre: Da war Rainer Werner Fassbinder schon einer
der berühmtesten Filmemacher Europas. Und Udo Kier ein skandalöser
Kultstar. "Bolwieser" war ihr erster gemeinsamer Film. Udo spielte
einen schlangenhaften Kleinstadt-Figaro, der gelangweilten Damen
gefällig ist. Fassbinder hatte lange gewartet, ehe er den alten Freund
verpflichtete: "Ich wollte nicht durch dich an die Kölner Zeit
erinnert werden." Und holte ihn dann für "Die dritte Generation",
Berlin Alexanderplatz", Lili Marleen" und "Lola", wollte ihn mit einem
langfristigen Vertrag binden. Udo Kier blieb auf Distanz. Fassbinder
konnte ihn so wenig an sich fesseln wie irgendein anderer Regisseur.
Familien findet er zum Fürchten. Der Einzelkämpfer Kier bleibt
unberechenbar. In der surrealen Komödie "Three Shake a-Leg Steps to
Heaven" des Luxemburgers Andy Bausch spielt er jetzt einen
Bankdirektor auf der Flucht: im tückischen Niemandsland zwischen
Vorstandsetage und Rotlichtmilieu, ganz auf sich allein gestellt.
Mario Adorf war ursprünglich für diese Rolle vorgesehen, und man kann
sich vorstellen, wie die Figur ausgesehen hätte: ein kraftvoller
Patriarch, ein knorriger Gemütsmensch, ein Sieger. Kier spielt anders.
Er bleibt immer ein bisschen fremd und fragil. In seinen Augen ist ein
Geheimnis. In Deutschland haben sie ihn lange nicht verstanden. Da
gibt es die Angst vor dem Besonderen. Peter Lorre und Klaus Kinski
haben ihre besten Rollen im Exil gefunden. Triebtäter brauchen einen
langen Atem. Abends im Kino. Udo Kier im schwarzen Rollkragenpullover,
darüber die Lederjacke von Keith Haring. Forever young. Und schon
wieder auf dem Sprung. Ein letztes Lächeln für das Premierenpublikum.
Und dann verschwindet der heimliche Weltstar in der Nacht.
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